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„Weitermachen. Nie aufgeben.“

Der Alltag nach der Katastrophe: Jun Shinoda in Tokio zwischen Angst und Aufbäumen.

Jun Shinoda wohnt mit seiner Familie in Yamato, Präfektur Kanagawa, etwa 30 Kilometer südlich von Tokio. Eine Stunde fährt der 60-Jährige normalerweise mit der S-Bahn ins Zentrum der Metropole. Dort vertritt er eine deutsche Firma, vor Jahren war Jun Shinoda auch mal Repräsentant der Wirtschaftsförderung Sachsen in Tokio.

Hr_ShinodaVergangenen Montag ist er vorerst zum letzten Mal die gewohnte Strecke gefahren, um Termine mit seinen Kunden wahrzunehmen. „Am Dienstag fuhren die Bahnen nicht mehr, wegen des Stromausfalls“, berichtet er. Selbst südlich von Tokio habe die Erde so stark und lange gebebt, dass sich „die Möbel wie Betrunkene durchs Haus bewegten“, sagt er. Zum Glück fiel nichts um, keiner wurde verletzt.

Seither versuchten die Menschen ihr Leben so normal wie möglich zu organisieren. Das tägliche Pendeln vom Wohnort zum Arbeitsplatz ist nur bedingt möglich. „Jede fünfte S-Bahn fährt nicht mehr. Sie sparen Strom“, sagt Shinoda. Der Stromversorger Tokyo Power Supply kann den Strombedarf nicht mehr decken. „Um einen Blackout zu vermeiden, wird planmäßig gespart. Jeweils für drei Stunden wird von Ort zu Ort der Strom abgeschaltet“, sagt der Unternehmensberater. Ausgenommen sei nur das Zentrum von Tokio. „Am Montag ging es etwas durcheinander, aber nun hat man sich daran gewöhnt.“

In der 220000-Einwohner-Stadt Yamato funktioniert die Infrastruktur einigermaßen normal. Weil weniger Bahnen fahren, sind mehr Busse im Einsatz. Die Geschäfte schließen aber früher. Auch in Tokio gehen Lichter in den großen Kaufhäusern zwei Stunden früher aus. Vor allem Ausländer würden die Hauptstadt Tokio verlassen. „Wir bleiben ruhig.“ Aber nach der Arbeit fahren die Menschen schnell und direkt nach Hause. „Ich habe im Moment keine Lust, mit meiner Familie Restaurants zu besuchen“, sagt Jun Shinoda. Die Leute seien noch immer geschockt von der Gewalt des Tsunamis und von der Atomkatastrophe. „Viele Überlebende sind von der Außenwelt abgeschnitten und ganze Landstriche noch vom Meerwasser überflutet. Das macht Rettungsaktionen fast unmöglich.“

Rettungshubschrauber würden wie die Fliegen um den Elefant kreisen und könnten nur Punkt für Punkt Tsunamiopfer ausfliegen. „Aber obdachlos gewordene Menschen warten in jeder Hautfalte des Elefanten auf Hilfe. Wir machen uns große Sorgen um diese Leute.“

Natürlich verfolgt auch Jun Shinoda, wie im havarierten Atommeiler Fukushima die verbliebenen Mitarbeiter unter hohem gesundheitlichen Risiko kämpfen. „Keiner möchte an ihrer Stelle sein, aber alle beobachten, was sie tun und hoffen, dass sie eine noch größere Katastrophe verhindern können.“ Doch keiner wisse, ob das gelingt, angesichts widersprüchlicher Meldungen. Die offizielle Informationspolitik ist verwirrend. „Wir entnehmen den Meldungen, dass jedem Schritt nach vorn zwei Schritte zurück folgen.“

Vor allem der Süden Japans leistet große Hilfe im Nordosten. Unmittelbar nach dem Beben habe die erdbebengeprüfte Stadt Kobe Rettungstrupps nach Norden geschickt. „Aus Kobe haben wir gelernt, dass die Menschen gesund bleiben müssen, denen das Beben und die Flut alles genommen haben“, sagt Jun Shinoda. Deshalb schicken die Krankenhäuser im Süden ihre Autos in den Norden und nehmen Kranke auf.

Der Japaner hat vor 25 Jahren in Deutschland den Supergau von Tschernobyl miterlebt. „Mit dieser Erfahrung bin ich nicht optimistisch“, sagt er, galubt aber, dass Fukushima weit genug weg ist. „Sicher wäre eine radioaktive Wolke bei ungünstigem Wind eine Bedrohung für uns, aber wenn wir uns korrekt vorbereiten, können wir das aushalten.“ Außerdem könne er sich nicht vorstellen, „dass zehn Millionen Tokioter plötzlich nach Osaka umziehen können“.

Quelle: SZ-Online

最終変更日時 2011年3月21日12:14 AM